Mein Name ist Doro. Ich wurde 1975 in Krefeld am Niederrhein geboren. Da ich zwischen dem 6. und 7. Schwangerschaftsmonat zur Welt kam, musste ich in der Klinik stationär behandelt werden. Zur damaligen Zeit konnten die Ärzte die Sauerstoffzufuhr noch nicht genau dosieren, sodass meine Augen in Mitleidenschaft gezogen wurden und ich erblindete.
Gymnasialzeit
Das einzige Gymnasium, das bereit war, mich aufzunehmen, hatte seinen Schwerpunkt im naturwissenschaftlichen Bereich, was leider überhaupt nicht meinen Neigungen entsprach. Ich sehe meine Stärken vor allem im sprachlichen Bereich, der dort leider viel zu kurz kam. So quälte ich mich durch die Fächer Mathematik, Physik und Chemie, und selbst das Fach Tierhaltung, das mich zunächst sehr interessiert hatte, weil ich sehr tierlieb war und in engem Kontakt zu Hunden, Katzen, Kaninchen und Meerschweinchen aufgewachsen war, empfand ich bald als langweilig, da es sich im Wesentlichen mit dem Thema Schweinemast und dem Komfortverhalten von Kühen befasste.
In der Schule schrieb ich mit einer speziellen Schreibmaschine Klausuren und Texte in Brailleschrift. Diese Schrift besteht aus Sechs Punkten, die mit Hilfe der Maschine auf besonders dickes Papier gedruckt werden.
Bei einer zweiwöchigen Sprachreise nach England war es eine neue Herausforderung für mich, in eine fremde Gastfamilie zu kommen, die den Umgang mit blinden Menschen nicht gewohnt war. Meine Freundin und ich hatten das Glück, auf Initiative unseres Lehrers, in eine besonders nette und engagierte Familie zu kommen, die sich gegen Ende unseres Besuches eine besondere Überraschung ausgedacht hatte: einen Ausflug zu einer Blindenführhundschule in der näheren Umgebung. Schon lange hatte ich mich mit dem Gedanken befasst, einen Führhund zu haben, und dieser Besuch bestärkte mich in meinem Entschluss.
Hinzu kam noch, dass meine Mitschüler und ich oft von deren älteren Geschwistern von der Schule abgeholt wurden, die bereits ein Auto hatten. Ebenso wie sie flexibler durch die Nutzung des Autos wurden, erhoffte ich mir mehr Mobilität durch einen Führhund. Und so stellte ich einen Antrag bei meiner Krankenkasse. Diesem Antrag fügte ich ein Attest vom Augenarzt und drei Kostenvoranschläge von verschiedenen Führhundschulen bei. Der Hund wurde mir bewilligt. Neben Leine, Halsband und Führgeschirr bekommt man für den Blindenführhund monatlich eine bestimmte Summe von der Krankenkasse auf das Konto überwiesen: das sog. Futtergeld. In diesem Betrag sind neben Futter, Leckerlis und Spielzeug auch Routinemaßnahmen beim Tierarzt wie Impfungen, Entwurmungen usw. enthalten.
Im Alter von 18 Jahren bekam ich meinen ersten Blindenführhund, eine Kreuzung aus Labrador und Golden Retriever, die Rena hieß und mich während meines letzten Jahres auf dem Gymnasium bis zum erweiterten Realschulabschluss, auf der Fachoberschule für Sozialwesen, und auch während der ersten Jahre meines Hochschulstudiums stets zuverlässig und sicher begleitete. Durch sie hatte ich die Möglichkeit, mich relativ rasch und nach kurzem Training in einer neuen Umgebung zurechtzufinden, was mir nach einer Überbrückungs- und Orientierungsphase den Umzug in eine neue Stadt und die erste eigene Wohnung wesentlich erleichterte.
Das Hochschulstudium
Nach Beendigung der Fachoberschule für Sozialwesen fand ich einen Studienplatz an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Dort wohnte ich zunächst in einer WG auf dem Hochschulgelände.
2003 wechselte ich die Hochschule und setzte mein Studium an der FH Düsseldorf fort. Das hatte den Vorteil, dass ich mit der sog. K-bahn, einer Mischung aus Zug und Straßenbahn, fahren konnte, was mir das Einsteigen erheblich erleichterte.
In dieser Zeit bekam ich auch meine Führhündin Amsel von einer Blindenführhundschule in Alpen Veen. Sie wurde mir zugeteilt, weil sie besonders ruhig und ausgeglichen, und daher für den Hochschulalltag hervorragend geeignet war. Amsel ist eine schwarze Labradorhündin. Für einen Labrador ist sie sehr klein und passt von daher sehr gut zu mir.
Zunächst musste ich natürlich alle für mich wichtigen Wege gemeinsam mit Ihrer Trainerin und mit Amsel üben. Vorrang hatte dabei der Weg von meinem Wohnort in Krefeld zur FH Düsseldorf. Dieser Weg war für uns beide sehr anspruchsvoll: Amsel musste mich sicher über Ampelkreuzungen führen, auf Autos und Fahrräder achten, im Hochschulgebäude Treppen, Ein- und Ausgänge, Sitzgelegenheiten und den Lift finden. Ohne ihre Hilfe hätte ich diesen langen und aufwändigen Weg und den Uni-Alltag unmöglich bewältigen können. Während der Seminare lag sie meist auf ihrer Hundedecke und döste. Das änderte sich allerdings sofort, wenn jemand sein Butterbrot auspackte. Dann war sie hellwach. Während der Pausen konnte ich am Ententeich mit ihr spazieren gehen. Manchmal machte sie sich einen Spaß daraus, die Enten ins Wasser zu scheuchen, schwamm aber nie hinterher, da sie ziemlich wasserscheu ist.
Eines Tages machte mich eine Studienassistentin darauf aufmerksam, dass ich viele Scheine schon mehrfach gemacht hatte, die Lehrveranstaltungen und Dozenten waren immer unterschiedlich, so dass dieses Problem weder mir noch dem Zivildienstleistenden aufgefallen war, der mir gewöhnlich half, meinen Studienplan zusammenzustellen, denn es gab eine Kooperation zwischen der FH und der Heinrich-Heine-Universität, was die Betreuung behinderter Studierender betraf. Diese Aufgabe übernahm nun die Studienassistentin, so dass ich mein Studium in 2008 endlich erfolgreich beenden konnte. Ich hatte eine gute Abschlussnote und war auch ein bisschen stolz darauf, aber nun stellte sich die Frage, wie es weitergehen sollte.
Die Zeit nach dem Studium
Nachdem ich die Hochschule verlassen hatte, war mir klar, dass ich ohne nennenswerte Computerkenntnisse keine Chance haben würde, einen Arbeitsplatz zu finden. So wandte ich mich an die Rehaabteilung des Jobcenters, um einen ambulanten PC-Kurs zu beantragen. Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, einen solchen Kurs stationär in einem Berufsförderungswerk für Blinde und Sehbehinderte zu absolvieren, wodurch ich jedoch mein gesamtes soziales Umfeld, das ich mir inzwischen aufgebaut hatte, verloren hätte. Das Rehaverfahren dauerte sehr lange, aber 2010 konnte ich einen Computergrundkurs im Büro für barrierefreie Bildung in Herne absolvieren, wobei mich Amsel natürlich begleitete. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie rasch sie sich neue Wege einprägt, und so konnten wir schon nach kurzer Zeit zwei- bis dreimal in der Woche nach Herne fahren. Der Kurs beinhaltete auch ein Bewerbungstraining , und die Mitarbeiter waren mir bei der Stellensuche behilflich, die jedoch erfolglos verlief, da die meisten Stellen für mich nicht geeignet waren.
Sehr zur Freude von Amsel hatte ich eine sehr tierliebe Freundin, die selbst einen Hund hatte. Sie fuhr regelmäßig Tandem mit mir, wobei uns beide Hunde sehr gern begleiteten.
Kater Frodo
Unabhängig von der Stellensuche bekam ich von einem Sachbearbeiter des Jobcenters den Hinweis, meine Wohnung sei zu klein. Ich bewohnte damals eine Wohnung von 40m². Er erklärte mir, als blinde Person hätte ich einen Anspruch auf bis zu 60 m². So konnte ich innerhalb desselben Stadtteiles in eine größere Wohnung ziehen, die im Erdgeschoss liegt. Von einer Rampe aus kann man direkt eine Grünfläche betreten, die inzwischen sogar eingezäunt ist. Ich freute mich sehr darüber, einen direkten Zugang nach draußen zu haben. Der einzige Nachteil ist, dass unser Haus direkt an einer lauten Hauptstraße liegt. Aber ich hatte ein Gartenstück, worüber sich natürlich vor allem Amsel freute.
Eine Arbeitsstelle war jedoch leider noch immer nicht in Sicht. Diese Umstände brachten mich auf den Gedanken, mir nun endlich einen langgehegten Wunsch zu erfüllen. Schon als Kind wollte ich immer eine Siamkatze haben. Orientalische Katzen sind mit normalen Hauskatzen nicht zu vergleichen. Sie machen sich immer lautstark bemerkbar, folgen ihrem Menschen auf Schritt und Tritt, sind sehr gut abrufbar und verstehen sich im Allgemeinen mit Hunden. Aufgrund dieser Eigenschaften, sind sie für blinde Menschen hervorragend geeignet. Wegen ihres ausgeprägten Sozialverhaltens, soll man sie nach Möglichkeit nicht als Einzelkatzen halten.
Im Alter von neun Monaten zog Frodo bei uns ein. Als er aus der Transportbox stieg, war ich total erschrocken: er stank entsetzlich und war vollkommen abgemagert. Ich hatte sofort das Gefühl, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung war, aber er kletterte direkt auf meine Schulter und schnurrte. In diesem Moment war klar, dass ich ihn nicht mehr hergeben würde.
Zwei Tage später bekam er starken Durchfall, und der Tierarzt, den ich sofort aufsuchte teilte mir mit, dass er Giardien habe, die sehr ansteckend seien. Nur geschwächte Jungtiere könnten diese Würmer bekommen und er könnte mir nicht versprechen, dass der Kater überleben würde. Wir versuchten alles, und Frodo schaffte es. Leider hat er zusätzlich auch noch einen chronischen Katzenschnupfen, der periodisch immer wieder auftritt und mit Antibiotika behandelt werden muss. Ansonsten ist er aber ein sehr munterer Kater, der jedoch aufgrund des ansteckenden Schnupfens als Einzelkatze leben muss, aber er genießt seinen Freigang, begleitet uns auf Gassirunden und schläft sogar mit Amsel zusammen im Hundekorb, wenn ich zwischendurch einmal eine katerfreie Nacht brauche und er ausnahmsweise nicht bei mir im Bett schlafen darf.
Gemeindeleben
Der christliche Glaube spielt in meinem Leben eine sehr wichtige Rolle. Durch eine Bekannte wurde ich auf die Krefelder Baptistengemeinde aufmerksam, die als liberale Gemeinde gilt, in der der Glaube dennoch im Vordergrund steht.
Bei unserem ersten Besuch in dieser Gemeinde wurden sowohl Amsel als auch ich sehr freundlich aufgenommen, und so übte ich mit ihr den Weg, damit wir öfter den Gottesdienst besuchen und das Gemeindeleben besser kennenlernen konnten.
Ein Jahr später, 2005, ließ ich mich in der Baptistengemeinde Krefeld taufen.
Auch bei Gemeindefreizeiten fiel mir besonders der offene und selbstverständliche Umgang der Gemeindemitglieder mit meiner Behinderung auf. Es gab nie Diskussionen darüber, wer mir bei der Hundegassirunde oder beim Frühstücksbuffet behilflich war, und auch im Gottesdienst war es ganz normal, dass ich mit der Braillebibel auf der Kanzel stand und daraus vorlas.
Zweimal habe ich bereits eine kleine Vorführung mit Amsel im Kindergottesdienst gemacht, was die Eltern und Kinder sehr gefreut hat. Hierbei erklärte ich den Kindern die Arbeitsweise eines Blindenführhundes. Ich beschrieb wie mich Amsel durch stehenbleiben auf Hindernisse aufmerksam macht oder mich darum herumführt und dass sie auf bestimmte Hörzeichen reagiert und mir auf Wunsch Treppen, Türen, Sitzgelegenheiten oder den Lift anzeigt. Im Anschluss gab es eine praktische Vorführung, wobei mich Amsel durch den Raum zu einer Tür und einer Sitzgelegenheit führte und mir diese durch Stehenbleiben anzeigte.
Schlusswort
Heute wohne ich noch immer mit meiner Führhündin Amsel, die mittlerweile fast 12 Jahre alt ist und eine graue Schnauze bekommen hat, und dem Kater Frodo in meiner Wohnung in Krefeld und absolviere eine Fortbildung zur PR-Juniorberaterin.
Amsel geht es bis auf kleinere Alterserscheinungen noch recht gut, und sie kann mir in gewissem Umfang auch noch behilflich sein. Ich hoffe, dass es noch lange so bleibt, muss mich jedoch gedanklich schon darauf einstellen, irgendwann einen neuen vierbeinigen Begleiter zu bekommen. Ich hoffe, dass er mich genauso gut und sicher führen und auch mit Frodo harmonieren wird, wie meine Amsel, auch wenn er sie natürlich nicht ersetzen kann.